Öl ist tot. Oder zumindest fast. Wenn man manchen Berichten Glauben schenken will, geht der globale Bedarf zurück, die Energiewende rollt an, und schon bald tanken wir alle nur noch Elektronen. Doch ganz so einfach ist es nicht.
Wer sagt eigentlich, wie viel Öl wir in Zukunft brauchen?
Prognosen zum globalen Ölbedarf werden regelmäßig von einigen wenigen großen Akteuren erstellt:
- IEA (Internationale Energieagentur)
Sitz in Paris, finanziert von OECD-Mitgliedsstaaten. Gibt jährlich den „World Energy Outlook“ heraus, meist mit mehreren Szenarien – vom business-as-usual bis zum Net-Zero-Pfad. - OPEC
Die Interessenvertretung der größten Erdöl exportierenden Länder. Wenig überraschend zeichnen ihre Reports (z. B. der „World Oil Outlook“) oft ein stabileres oder sogar wachsendes Bild der Nachfrage. - BP, ExxonMobil, Shell
Die Ölkonzerne selbst erstellen ebenfalls eigene Energiereports, oft mit Fokus auf Energiemix, Nachfrageverlagerung und wirtschaftliche Entwicklungen.
Das Problem: Jede dieser Institutionen hat ihre eigene Perspektive – und ihre eigenen Interessen. Die IEA versucht, eine neutrale Sicht einzunehmen, wird aber von einigen Ländern als politisch gefärbt wahrgenommen. Die OPEC hingegen ist offensichtlich wirtschaftlich motiviert, möglichst stabile Nachfrage zu prognostizieren.
Drei Szenarien, drei Welten
Die Unterschiede könnten kaum größer sein:
🔹 International Energy Agency (IEA) – Stated Policies Scenario
- 2050: Der weltweite Ölbedarf wird voraussichtlich bei etwa 102 Millionen Barrel pro Tag (bbl/d) liegen, was dem Niveau von 2024 entspricht.
- 2060: Es wird erwartet, dass der Ölverbrauch auf diesem Niveau bleibt, wobei ein leichter Rückgang möglich ist, abhängig von politischen Maßnahmen und technologischen Entwicklungen.
🔹 BP – Net Zero Emissions by 2050 Scenario
- 2050: Der Ölbedarf könnte auf etwa 24 Millionen bbl/d sinken, was einen drastischen Rückgang im Vergleich zu heutigen Werten darstellt.
- 2060: Ein weiterer Rückgang wird erwartet, da erneuerbare Energien und Elektrifizierung weiter voranschreiten.
🔹 OPEC World Oil Outlook
- 2045: OPEC prognostiziert einen Anstieg des Ölbedarfs auf etwa 109 Millionen bbl/d, mit einem Plateau danach.
- 2060: Es wird erwartet, dass der Ölverbrauch auf diesem hohen Niveau bleibt, unterstützt durch Bevölkerungswachstum und industrielle Entwicklung in Schwellenländern.
Was stimmt? Keiner weiß es sicher. Denn hier geht es nicht nur um Energie – sondern auch um Politik, Technologieentwicklung, geopolitische Krisen, gesellschaftliche Akzeptanz und Infrastrukturinvestitionen.
Und was ist mit Ghawar?
Der Ghawar-Ölfeld in Saudi-Arabien – das größte bekannte seiner Art – fördert aktuell deutlich weniger als früher. Interne Zahlen und externe Schätzungen weichen stark voneinander ab. Während Saudi Aramco offiziell hohe Reserven meldet, deuten einige unabhängige Analysen auf ein nahendes Förderplateau hin. Aber: Das ist ein Thema für sich – und wird in einem eigenen Beitrag hier auf TheOilSpot behandelt.
Wie zuverlässig sind solche Prognosen?
Nicht besonders. Oder besser gesagt: Sie sind Annäherungen – auf Basis heutiger Informationen, politischer Programme und wirtschaftlicher Trends. Schon kleine Verschiebungen – etwa eine neue Regierung in einem Förderland oder ein Technologiesprung in der Batterieentwicklung – können die Kurven komplett kippen.
Trotzdem sind diese Modelle wertvoll, weil sie ein Gefühl dafür geben, wo die Reise hingehen könnte, wenn bestimmte Annahmen wahr werden.
Die Ruhe vor dem Sturm?
Wir stehen wahrscheinlich am Anfang vom Ende des billigen, einfach zugänglichen Öls.
Nicht, weil der Bedarf sofort verschwindet – sondern weil die großen Felder nach und nach versiegen, und der Ersatz immer schwieriger – also unwirtschaftlicher wird.
Ghawar ist nur der Anfang. Und wie der Rest der Welt darauf reagiert, wird entscheiden, ob wir in 20 Jahren über ein gut gemanagtes Energiesystem sprechen – oder über die nächste Ölkrise.
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