Saudi-Arabien ist reich, mächtig und religiös konservativ – und genau darin liegt sein faszinierender Widerspruch. Es ist eines der geopolitisch einflussreichsten Länder der Welt, besitzt riesige Energiereserven, doch gleichzeitig kämpft es mit einem schwachen Bildungssystem, Fachkräftemangel und gesellschaftlicher Stagnation. Eine Supermacht auf tönernen Füßen?
Ölreichtum vs. Innovationsmangel
Seit der Entdeckung von Erdöl in den 1930ern hat sich Saudi-Arabien vom armen Wüstenstaat zum geopolitischen Energiezentrum entwickelt. Heute ist es der größte Erdölproduzent der OPEC und einer der größten Exporteure der Welt. Dieser Reichtum hat jedoch zu einer tiefen wirtschaftlichen Abhängigkeit geführt: Rund 85–90 % der saudischen Staatseinnahmen stammen direkt oder indirekt aus dem Ölsektor.
Das Land lebt von fossilen Exporten, investiert aber vergleichsweise wenig in eigene technologische oder industrielle Innovation. Die Hightech-Industrie wird durch ausländische Expertise getragen – meist durch Arbeitsmigranten, nicht durch eigene Hochschulabsolventen.
Bildung – Zahlen, die Fragen aufwerfen
Zwei von drei Studienabschlüssen in Saudi-Arabien haben religiös-theologische Ausrichtung. Trotz zahlreicher Universitätsneugründungen fehlt es an qualitativ hochwertiger Ausbildung in Ingenieurwesen, Naturwissenschaften und IT. Kritisches Denken, Philosophie, freie Künste – Fehlanzeige.
Zudem besteht eine massive Geschlechterkluft: Erst seit wenigen Jahren dürfen Frauen überhaupt an öffentlichen Bildungseinrichtungen gleichberechtigt teilnehmen. Die strukturellen Probleme bleiben: Ein Land mit 36 Millionen Einwohnern, das kaum eigene Fachkräfte hervorbringt, ist langfristig nicht wettbewerbsfähig – zumindest nicht ohne Öl als Joker.
Religion vs. Realität
Der saudische Staat ist aufs Engste mit der Religion verflochten. Die wahhabitische Auslegung des sunnitischen Islam ist Staatsideologie, Gesetzesgrundlage und Alltagsrealität zugleich. Öffentliche Religionskritik ist strafbar, die Religionspolizei war (und ist teils immer noch) aktiv, und das Bildungssystem vermittelt ein striktes islamisches Weltbild.
Ob das „verwerflich“ ist? Nicht zwangsläufig. Doch es stellt ein ernsthaftes Hindernis dar für kulturelle Öffnung, globale Integration und Innovationsfähigkeit – alles Dinge, die Saudi-Arabien gleichzeitig im Westen zu verkaufen versucht.
Geld: Wo liegt es – und wem nützt es?
Der saudische Staatsfonds, der Public Investment Fund (PIF), verwaltet aktuell ein Vermögen von rund 930 Milliarden US-Dollar (Stand: 2024). Ziel sind 2 Billionen USD bis 2030. Der Großteil des Vermögens ist im Ausland investiert – u. a. in US-Tech-Firmen (wie Meta, Uber, Lucid Motors), Immobilien, Fußballklubs, Gaming-Studios und in westliche Rüstungskonzerne.
Pikanter Fakt: Ein erheblicher Teil saudischen Vermögens ist an der Wall Street geparkt – ausgerechnet im Land, das offiziell als „dekadent“ oder „westlich verdorben“ kritisiert wird.
Staatsverschuldung – ein Blick hinter die Fassade
Obwohl Saudi-Arabien über enorme Einnahmen verfügt, steigt die Staatsverschuldung seit Jahren. Laut Internationalem Währungsfonds (IWF) lag die Staatsverschuldung 2023 bei rund 25 % des BIP, mit einem deutlichen Anstieg in den Folgejahren durch hohe Investitionen, Subventionen und die Umsetzung von Vision 2030.
Das ist zwar im internationalen Vergleich noch relativ moderat – aber für einen Ölgiganten mit so hohen Einnahmen ein Warnsignal. Das liegt u. a. an strukturellen Problemen wie:
- teuren Sozialprogrammen,
- einer ineffizienten Verwaltung,
- und daran, dass viele Großprojekte (Neom, Gigainvestitionen) noch keine Gewinne abwerfen.
Politisches Kalkül: Künstliche Verknappung?
Saudi-Arabien spielt mit dem Ölpreis wie ein Schachspieler mit dem Brett: Mal drosselt es die Förderung, mal flutet es den Markt – stets mit geopolitischem Kalkül. Die Intransparenz über tatsächliche Reserven, insbesondere beim Ghawar-Feld, dem größten Einzelölfeld der Welt, gehört zur Strategie.
Ist Ghawar bald erschöpft? Vielleicht. Wird es öffentlich zugegeben? Sicher nicht. Denn Saudi-Arabiens Macht liegt nicht nur im Öl selbst – sondern im Mythos der unerschöpflichen Quelle.
Ausblick:
Die saudische Vision 2030 soll dieses Problem lösen – eine gewaltige Reformagenda, die Bildung, Wirtschaft, Kultur und Verwaltung modernisieren will. Doch ob das gelingt, hängt nicht vom Geld ab – sondern vom Mut zur Veränderung.
Darum: Fortsetzung folgt im nächsten Beitrag über „Vision 2030 – Hoffnung oder Hochglanzbroschüre?“
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