Seit den 1970er-Jahren ist ein Begriff zentral für das Verständnis der globalen Energie- und Finanzordnung: der Petrodollar. Was auf den ersten Blick wie ein technischer Begriff klingt, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als eines der mächtigsten geopolitischen Instrumente der Moderne.
Der Petrodollar verknüpft Öl, Geld und Macht – und sein Zerfall könnte ein System ins Wanken bringen, das viele für selbstverständlich hielten.
Was ist der Petrodollar?
Nehmen wir ein kleines Beispiel:
Stell dir vor, Öl ist wie Cola auf dem Schulhof. Jedes Kind will sie haben. (War zumindest früher mal so)
Und dann gibt es dieses eine Kind, nennen wir es Saudi-Arabien, das super viel Cola verkauft.
Dann kommt allerdings ein anderes Kind, etwas reicher, nennen wir es USA, das sagt;
„Hey, du darfst deine Cola super gerne verkaufen, aber ausschließlich mit meinem Pausengeld“
Saudi-Arabien überlegt kurz, stimmt dann zu – unter einer Bedingung:
„Okay, aber du schützt mich, wenn andere mich ärgern.“
USA: „Klar, Deal!“
Das Ergebnis: Alle, die von nun an Cola auf dem Pausenhof kaufen wollen, brauchen das Pausengeld der USA.
Der Begriff Petrodollar bezeichnet also US-Dollar, die von Erdöl exportierenden Ländern als Bezahlung für ihre Rohölverkäufe eingenommen werden. Seit einer Vereinbarung zwischen den USA und Saudi-Arabien im Jahr 1974 wird nahezu der gesamte globale Ölhandel in US-Dollar abgewickelt – auch wenn Käufer oder Produzenten nichts mit den USA zu tun haben.
Kernaussage:
Wer Öl kaufen will, braucht Dollar. Das schafft eine künstliche Nachfrage nach der US-Währung – unabhängig vom eigentlichen Zustand der US-Wirtschaft.
Was bringt das den USA? Warum ist das gut für sie?
Ganz einfach:
Alle Länder der Welt brauchen Dollar.
Denn: Ohne Dollar → kein Öl → keine Autos, keine Fabriken, keine Flugzeuge.
Also horten Länder US-Dollar, halten sie als Reserve, kaufen sie an Börsen, machen Handel damit.
Die USA können einfach Geld drucken – und alle wollen es trotzdem.
Andere Länder müssen etwas verkaufen, um Dollar zu verdienen.
Die USA? Drucken es einfach selbst – und kaufen damit Öl, Produkte, Firmenanteile usw.
Die Saudis legen ihr verdientes Geld wieder in den USA an.
Sie verkaufen Öl → kriegen Dollar → und legen die dann in US-Banken, Anleihen oder Aktien an.
Das heißt: Das Geld kommt am Ende wieder zurück in die USA.
Ein unfassbar schlauer Schachzug auf dem die komplette amerikanische Wirtschaft thront.
Welche Folgen hatte das System?
- Globale Dollar-Dominanz
Der US-Dollar wurde zur unangefochtenen Weltleitwährung. Nicht nur Öl, sondern auch viele andere Rohstoffe und internationale Verträge werden in Dollar abgewickelt. - Künstliche Dollar-Nachfrage
Länder halten große Devisenreserven in Dollar, um Öl und andere Güter zu kaufen – was es den USA erlaubt, Schulden zu machen, ohne massive Inflation zu riskieren. - Stabilität – gegen Preisgabe von Souveränität
Entwicklungsländer, die Öl brauchen, müssen Dollar beschaffen – oft über Kredite, Exportüberschüsse oder IWF-Programme. Das macht sie wirtschaftlich abhängig. - Geopolitische Relevanz
Jeder Versuch, Öl in anderen Währungen zu handeln (z. B. Euro, Yuan oder Gold), wurde von Washington als strategische Bedrohung gesehen. Staaten wie der Irak (2000), Libyen (2011) oder Iran (mehrfach) wurden sanktioniert, destabilisiert oder militärisch angegriffen – aus Gründen, die offiziell anders begründet wurden, aber oft im Ölhandel wurzelten.
Was passiert, wenn das Petrodollar-System zerbricht?
Ein Kollaps oder Rückbau des Petrodollar-Systems hätte massive geopolitische und wirtschaftliche Folgen, etwa:
- Abwertung des Dollars: Wenn Länder kein Öl mehr in Dollar handeln müssen, sinkt die weltweite Nachfrage nach der Währung.
- Rückzug von Kapital: Länder wie Saudi-Arabien könnten ihre Milliarden aus den USA abziehen – was Börsen, Rentenmärkte und den US-Haushalt destabilisieren würde.
- Verlust der US-Finanzhegemonie: Der Einfluss der USA auf globale Finanzströme würde schwinden. Neue Machtzentren (z. B. China oder regionale Bündnisse) könnten entstehen.
- Systemische Vertrauenskrise: Wenn der Dollar seine Sonderstellung verliert, gerät das Vertrauen in viele auf ihm basierende Institutionen ins Wanken – vom IWF bis zur Welthandelsordnung.
Ist der Petrodollar denn in Gefahr?
Laut Berichten (z. B. Der Spiegel, Juni 2024) ist das 50 Jahre alte Petrodollar-Abkommen zwischen den USA und Saudi-Arabien am 9. Juni 2024 ausgelaufen. Das bedeutet:
- Saudi-Arabien ist jetzt frei, Öl auch in anderen Währungen zu verkaufen.
- Es gibt noch keine offiziellen, breit angelegten Deals in Yuan, Rupie oder Euro, aber es wird intensiv verhandelt – vor allem mit China und Indien.
Das bedeutet:
Der exklusive Status des US-Dollars ist nicht mehr vertraglich gesichert – aber auch noch nicht aktiv durch andere Währungen ersetzt.
Warum das so brisant ist:
- Schon die Möglichkeit einer Abkehr erzeugt Unruhe an den Märkten. Der Ölpreis ist bereits um 4% gefallen – was dem stärksten Rückgang seit 2020 entspricht
- Andere Staaten sehen: „Wenn sogar Saudi-Arabien sich vom Dollar löst, können wir das auch.“
- Die Symbolwirkung ist enorm – es ist ein geopolitisches Signal, dass die US-Dominanz bröckelt.
Also: Ist der Petrodollar jetzt verloren?
Nein, noch nicht endgültig.
Aber die historische Grundlage, auf der er beruhte – das exklusive Öl-für-Dollar-Modell – existiert nicht mehr.
Die Praxis (z. B. ob wirklich 30 % oder 50 % der saudischen Exporte in Yuan laufen werden) ist noch offen.
Es ist gut möglich, dass Saudi-Arabien schrittweise diversifiziert, um sich sowohl mit China als auch mit den USA gutzustellen.
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