In sozialen Medien kursiert immer wieder die Behauptung: Die Erde produziert laufend neues Öl – wir könnten also gar kein „Peak Oil“ erreichen. Manche sprechen sogar davon, Öl sei „abiotisch“ und kein fossiler Rohstoff. Was steckt hinter diesen Ideen – und wie viel davon ist wissenschaftlich haltbar?
Spoiler: garnichts. Haltet euch einfach von dubiosen pseudowissenschaftlichen Erläuterungen mit semiwissenschaftlichen Darstellungen fern.
1. Die populäre These: Öl als unendliche Ressource?
Die Grundbehauptung lautet:
„Erdöl ist keine endliche Ressource, sondern entsteht permanent im Erdmantel – völlig unabhängig von totem Plankton.“
Diese Ansicht ist besonders im Internet verbreitet – häufig in Form von kurzen Clips, pseudowissenschaftlichen Artikeln oder Interviews mit Einzelpersonen, die sich gegen den „Mainstream“ der Wissenschaft stellen. Oft taucht die These im Kontext von Kritik an Energiewende, Klima- oder Förderpolitik auf.
Doch sie hat eine lange Vorgeschichte.
2. Ursprung der Idee: Die „abiotische Öltheorie“
Die Idee, dass Erdöl nicht aus biologischem Material stammt, geht auf das 19. Jahrhundert zurück – vor allem auf russische Geologen wie Dmitri Mendelejew, den Vater des Periodensystems. Später griffen sowjetische Wissenschaftler diese Hypothese wieder auf.
Die Kernaussage der abiotischen Theorie ist:
- Öl entsteht nicht aus organischem Material,
- sondern aus chemischen Reaktionen tief im Erdmantel,
- es steigt dann durch Risse und Spalten in die Erdkruste.
Theoretisch wäre Öl also wie Magma: ständig neu produziert, nur anders zusammengesetzt. Diese Theorie hatte vor allem in der Sowjetunion eine gewisse Bedeutung – sie sollte strategische Unabhängigkeit untermauern. Doch international hat sie sich nie durchgesetzt.
3. Was sagt die Wissenschaft heute?
Die moderne Geologie ist sich sehr einig:
Erdöl entsteht aus organischem Material, das unter bestimmten Bedingungen über Millionen Jahre zu Kohlenwasserstoffen umgewandelt wird.
Die Belege dafür sind überwältigend:
- Biomarker im Öl: Molekulare „Fingerabdrücke“ von Algen, Bakterien und Plankton lassen sich im Erdöl nachweisen.
- Isotopenverhältnisse (z. B. C13/C12) weisen klar auf einen biologischen Ursprung hin.
- Sedimentologische Zusammenhänge zeigen, dass Öl nur dort vorkommt, wo auch fossiles Muttergestein vorhanden ist.
- Bohrkerne und Seismikdaten zeigen, wie Öl aus dem Muttergestein migriert und sich in Fallen ansammelt.
Es gibt zwar theoretische Überlegungen, dass kleinste Mengen anabiotischer Kohlenwasserstoffe tief im Mantel entstehen können – etwa Methan in vulkanischen Regionen. Doch daraus entstehen keine wirtschaftlich nutzbaren Erdöllagerstätten.
4. Warum hält sich der Mythos trotzdem?
Es gibt mehrere Gründe, warum sich die Idee vom „ständig nachwachsenden Öl“ hartnäckig hält:
- Komplexität der Geologie: Für Laien schwer nachvollziehbar – Raum für vereinfachende Erzählungen.
- Ideologische Motive: Wer gegen Klima- oder Förderpolitik ist, greift gern auf Narrative zurück, die Knappheit oder Umweltrisiken in Frage stellen.
- Mediale Verstärkung: Einzelne Berichte über Öl in „toten Feldern“ oder überraschende Neufunde werden als Beweis für ständige Neubildung fehlinterpretiert.
- Verwechslung mit technologischer Verbesserung: Tatsächlich werden mit neuen Methoden (z. B. Fracking, 4D-Seismik) heute Ölreserven gefunden, die früher unzugänglich waren – das wirkt für manche wie „magische Neubildung“.
5. Fazit: Öl entsteht – aber nicht so, wie es oft behauptet wird
Ja, Erdöl entsteht – aber extrem langsam, unter sehr speziellen geologischen Bedingungen, über Zeiträume von 10 bis 100 Millionen Jahren. Und: Alles Öl, das wir fördern, ist uralt. Es entsteht nicht in menschlichen Zeitmaßstäben.
Die Behauptung, dass „Öl ständig neu entsteht“, ist entweder ein Missverständnis geologischer Prozesse – oder bewusste Irreführung. Weder die Theorie vom „abiotischen Öl“ noch die Vorstellung einer sich selbst regenerierenden Ölquelle ist mit dem heutigen Stand der Wissenschaft vereinbar.
Solche Mythen sind bequem – denn sie versprechen eine Welt ohne Grenzen.
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