Öl, Macht und Mythos: Wer kontrolliert wirklich die Energiezukunft?

Energiekrisen, geopolitische Spannungen, steigende Preise – und dazwischen die ewige Frage:
Geht uns das Öl aus, oder ist das alles nur ein großes Spiel um Geld und Macht?

Als Geophysiker versuche ich, technische Fakten verständlich zu machen. Aber manchmal kommt man an einem unbequemen Punkt nicht vorbei: Es geht längst nicht nur um Geologie. Es geht um Politik. Kontrolle. Strategien. Und um die Frage: Haben wir überhaupt noch Einfluss auf unsere Energiezukunft – oder wird sie hinter verschlossenen Türen längst entschieden?


Ghawar – das Herz der Macht

Beginnen wir mit einem Namen, der fast schon mythisch klingt: Ghawar.
Das größte konventionelle Ölfeld der Welt. Seit den 1950er-Jahren das Rückgrat der saudischen Ölwirtschaft – und damit ein globales Machtinstrument.

Lange galt Ghawar als unangetastet. Doch 2019 veröffentlichte Saudi Aramco erstmals offizielle Produktionsdaten – im Zuge des geplanten Börsengangs:

  • Maximale Tagesförderung Ghawar (2019): 3,8 Millionen Barrel pro Tag
  • Erwartet wurden: über 5 Millionen
  • Das gesamte Königreich lag bei über 10 Millionen Barrel/Tag

Diese Zahl erschütterte viele Annahmen. Zwar ist Ghawar noch immer produktiv – aber eben nicht mehr so dominant, wie man jahrzehntelang geglaubt hatte.


Die Intransparenz ist politisch gewollt

Warum hat Saudi-Arabien so lange geschwiegen?

„Wenn du den Wasserstand in deinem Brunnen nicht preisgibst, kann niemand vorhersagen, wann du verdursten wirst.“
(frei nach dem saudischen Energieprinzen Abdulaziz bin Salman)

Die Saudis wissen: Kontrolle über Informationen = Kontrolle über Märkte.
Ghawar ist nicht nur ein Ölfeld – es ist ein Symbol. Ein Symbol für Kontrolle über den Preis, die Machtbalance, das Tempo der Energiewende.


Haben die Saudis noch mehr Öl – und halten es bewusst zurück?

Diese Theorie existiert seit Jahren – und ist nicht völlig aus der Luft gegriffen.

Bekanntes, aber nicht produziertes Öl = strategisches Kapital.

Saudi-Arabien verfügt laut BP Statistical Review (2023) über ca. 267 Milliarden Barrel an nachgewiesenen Reserven – das entspricht knapp 17 % der Weltreserven. Aber:

  • Nur ein Bruchteil dieser Felder ist voll erschlossen.
  • Viele Reserven liegen in komplexen geologischen Schichten (z. B. unter Salzlagen, hoher Schwefelanteil).
  • Der Großteil stammt aus wenigen Super-Feldern wie Ghawar, Safaniyah, Shaybah.

Es ist durchaus denkbar, dass kleinere Felder mit hohen Produktionskosten bewusst „on hold“ gehalten werden – bis der Markt günstiger ist. Das bedeutet: Nicht-gefördertes Öl ist kein Beweis für Überfluss – sondern für strategisches Timing.


Künstliche Verknappung vs. echte Knappheit

OPEC+ (die Allianz aus OPEC und Russland) reguliert seit Jahren den Markt aktiv. Zuletzt senkten sie im April 2023 erneut ihre Fördermengen um 1,2 Mio. Barrel/Tag (Quelle: Reuters) – obwohl die Nachfrage hoch war.

Und trotzdem steigt der Druck:

  • Natural Decline: Bestehende Felder verlieren jährlich ca. 5–8 % Produktionsleistung ohne neue Investitionen (IEA Decline Rates)
  • Investitionsrückstand: Internationale Ölfirmen investieren seit Jahren zu wenig in neue Projekte (vor allem aus ESG-Gründen).
  • Politische Risiken: Venezuela, Libyen, Iran, Russland – viele Vorkommen liegen in instabilen Regionen.

Fazit: Auch wenn noch Reserven da sind, geraten wir zunehmend in ein strukturelles Angebotsproblem.


Ist die Sorge übertrieben – oder völlig berechtigt?

Die Vorstellung, dass „noch genug Öl da ist“, ist beruhigend – aber irreführend.

Denn:

  • Geologische Reserven ≠ technisch, ökonomisch oder politisch nutzbar
  • Die einfache Phase der Ölproduktion ist vorbei – was jetzt kommt, ist teurer, schwieriger, konfliktreicher
  • China, Indien & der globale Süden verbrauchen zunehmend mehr, was den Druck erhöht
  • Alternative Energien wachsen, aber nicht schnell genug, um Öl kurzfristig zu ersetzen

Und was bedeutet das für diese Website?

Vielleicht fragst du dich – wie ich selbst manchmal – ob Aufklärung über diese Themen nicht sinnlos ist, wenn ohnehin ein paar große Spieler alles steuern.

Meine Antwort: Nein. Im Gegenteil.

Gerade weil die Realität so undurchsichtig, strategisch und kalkuliert ist, braucht es Orte wie diesen:

  • Wo geophysikalische Grundlagen erklärt werden
  • Wo wirtschaftliche Zusammenhänge verständlich gemacht werden
  • Wo politische Interessen benannt werden
  • Wo kritisch, aber sachlich argumentiert wird

Diese Website will nicht mit Weltuntergang drohen – sie will Verständnis schaffen, Orientierung geben, zum Denken anregen.


Fazit: Öl geht nicht aus – aber die Zeit der Unschuld ist vorbei

Ob Ghawar bald versiegt oder Saudi-Arabien neue Trümpfe aus dem Ärmel zieht – beides ändert nichts an der Tatsache, dass Energieversorgung zur Schachpartie der Weltpolitik geworden ist. Mit echten Risiken für Märkte, Gesellschaften, das Klima.

Wir brauchen mehr Transparenz, mehr Technologie, mehr Demokratie in der Energiefrage. Und dafür braucht es auch: Wissen. Analyse. Stimme.

Genau das versuche ich hier – mit eurer Unterstützung

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