„Geld wie Sand am Meer“ – so klingt’s oft, wenn von Saudi-Arabien die Rede ist. Doch hinter dem Glanz der Öldollars lauern wirtschaftliche Abhängigkeiten, die erstaunlich fragil sind. Und genau hier lohnt sich ein kritischer Blick. Denn was passiert eigentlich, wenn der Geldhahn Öl mal langsamer tropft?
1. Wie lange kann Saudi-Arabien wirtschaftlich überleben, wenn der Ölpreis dauerhaft unter Druck gerät?
Fast 75–90 % der saudischen Staatseinnahmen stammen aus dem Ölsektor, je nach Jahr und Preisniveau. Die Zahl schwankt leicht, aber Fakt ist: Der Staatshaushalt ist extrem ölabhängig (Quelle: IEA, IMF Reports, Saudi Budget Statements). Fällt der Ölpreis, reißt das sofort ein Loch in den Haushalt.
Saudi-Arabien braucht einen Ölpreis von etwa 80–85 USD pro Barrel, um seinen Haushalt auszugleichen (Quelle: IMF Fiscal Breakeven Oil Prices, 2024). Zum Vergleich: In der Corona-Krise 2020 fiel der Preis auf unter 30 USD – das hat das Land Milliarden gekostet.
Was passiert, wenn Länder wie China oder die EU ihre Energiewende ernst meinen – und der weltweite Ölbedarf langsam, aber sicher sinkt?
2. Was passiert mit der saudischen Gesellschaft, wenn Öl nicht mehr reicht?
Der Staatsapparat beschäftigt rund 70 % der arbeitenden Saudis (Quelle: World Bank, Saudi Labour Force Surveys). Der Privatsektor trägt kaum zur Beschäftigung bei – dort arbeiten vor allem ausländische Fachkräfte.
Hinzu kommt: Zwei Drittel der Hochschulabschlüsse sind im religiösen Bereich angesiedelt (Quelle: UNESCO Education Reports, nationale Bildungsberichte). Das führt zu einem Mangel an Ingenieuren, Technikern, Lehrern, Ärzten – kurz: an allem, was eine diversifizierte Wirtschaft bräuchte.
Wie will ein Land die Wirtschaft modernisieren, wenn die meisten Uni-Absolventen Theologie studiert haben?
3. Was, wenn Ghawar erschöpft ist – und keiner sagt es?
Das Ghawar-Ölfeld fördert offiziell über 3,8 Mio. Barrel pro Tag – laut Aramco. Doch bei der teilweisen Öffnung der Bücher 2019 vor dem Börsengang wurde deutlich: Die Förderkapazität ist bereits rückläufig, frühere Schätzungen waren wohl zu optimistisch (Quelle: Aramco Bond Prospectus, 2019).
Was wäre, wenn Ghawar schon heute die maximale Wirtschaftlichkeit überschritten hat – und wir es nur nicht wissen?
4. Warum gibt es keine unabhängige Prüfung der Reserven?
Saudi-Arabien behauptet, über 267 Milliarden Barrel an Reserven zu haben. Doch: Diese Zahl ist seit den 1990ern quasi konstant, obwohl jedes Jahr Milliarden Barrel gefördert wurden. Eine neutrale Prüfung gibt es nicht – Reservenzahlen gelten als „Staatsgeheimnis“. (Quelle: BP Statistical Review, EIA, diverse OPEC-Jahresberichte)
Warum sollte ein Staat seine echten Vorräte offenlegen, wenn Unklarheit ihm Macht gibt?
5. Ist der saudische Staatsfonds (PIF) wirklich die Lösung?
Der Public Investment Fund (PIF) wird als Diversifizierungswerkzeug gepriesen. Tatsächlich ist er mit über 700 Mrd. USD gefüllt (Quelle: PIF Annual Reports, SWFI Rankings 2024). Doch große Teile davon sind in ausländische Firmen investiert – etwa Uber, SoftBank, Sportrechte oder US-Tech.
Solange der Fonds auf Öleinnahmen beruht, bleibt die Abhängigkeit bestehen. Kritiker sprechen von einem „Geld-Waschprogramm in Zukunftsfantasasie“.
Wie unabhängig ist ein Diversifizierungsfonds, der zu 100 % von einem einzigen Rohstoff lebt?
Noch mehr Fragen, die man sich stellen sollte
- Was passiert, wenn andere Öl-Nationen plötzlich transparenter werden? (z. B. durch ESG-Investorendruck) – steht Saudi-Arabien dann isoliert da?
- Werden die Saudis irgendwann bewusst weniger fördern, um Knappheit zu simulieren – wie ein Öl-OPEC-Monopolist?
- Wohin fließt eigentlich das ganze Geld? Ein Großteil liegt in US-Staatsanleihen und dem amerikanischen Finanzmarkt. Bedeutet: Politische Abhängigkeiten.
- Kann ein Land, das „Zukunft“ predigt, gleichzeitig in extrem konservativen Gesellschaftsstrukturen verharren?
- Was passiert, wenn junge Saudis anfangen zu fragen, warum sie in einem der reichsten Länder der Welt leben – aber keine Perspektive außerhalb des Staates haben?
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